Bikepacking im Oman: von Sur dem Meer entlang nach Muscat
Ein wohlverdienter Ruhetag in Sur bevor ich mich auf den dritten und bereits letzten Teil aufmache, um dem Meer entlang nach Muscat zu fahren. Eine abgebrochene Schraube, ein abgelaufenes Visum und einmal falsch abbiegen halten mich auf Trab.
Die Fahrt nach Sur nach dem wunderbaren Sonnenuntergang geht zügig voran und ich bin bereits gegen Mittag in der Stadt. Für zwei Nächte beziehe ich ein billiges Hotelzimmer mit Küche. Ich würde gerne sagen, dass es günstig war, aber das wäre nicht ehrlich. Die Herdplatte und das wenige Geschirr, das vorhanden ist, laden nicht dazu ein zu kochen und es scheint ein Raucherzimmer zu sein… Es muss reichen und hat halt nicht viel gekostet. Die Stadt selbst gefällt mir und der berühmte Suk ist gleich um die Ecke. Ich schlafe lange, starte gemütlich in den Ruhetag und geniesse es, nicht im Sattel sitzen zu müssen. In den Restaurants der Stadt esse ich fein und streune den ganzen Tag mit der Kamera. Es gibt viel zu entdecken und ich finde neben Ziegen, die mitten im Zentrum auch am streuen sind, wunderbare Stilleben und spannende Einblicke in die Stadt.
Auch nach dem Ruhetag oder erst recht, breche ich früh auf und fahre dem Meer entlang Richtung Westen und Muscat. Es wird aber noch ein paar Tage dauern, bis ich wieder in der Hauptstadt ankommen werde und es warten noch ein paar Überraschungen. Für die nächste Nacht finde ich nach einem dann recht mühsamen Tag mit viel Gegenwind einen wunderbaren Platz in den Felsen direkt über dem Meer. Es hat keine Moskitos etc. und ich verzichte auf das Zelt. Ich bade mehrmals im Meer und geniesse direkt unter dem Sternenhimmel geniesse die warme Nacht. Einzig auf die vielen toten Kugelfische am Strand muss ich aufpassen. Die Stacheln sind übel spitz und ich möchte keinen in den Füssen haben. Das Abendessen koche ich auf einem kleinen Feuer und geniesse das Rauschen des Meeres nebenan. Was für ein Luxus nach den trockenen Bedingungen vorher!
Während vor mir das Meer liegt, ragen hinter mir im Abendlicht die Berge empor. Auch sie gehen bis auf 2000 Meter rauf und eigentlich wollte ich genau dort noch hoch. Ziel waren alte Gräber auf einem Hochplateau und spektakuläre Aussichten. Bei der ersten Querung der Bergkette auf dem Weg von Muscat nach Nizwa kam ich aber deutlich ans Limit und musste viel schieben. Es war mit bis zu 22% Steigung schlicht zu steil und die Untersetzung am Velo zu wenig gut, als das ich hätte hochfahren können. Das Höhenprofil für die Strecke aufs Hochplateau sieht ähnlich aus: fast 30 Km bergauf, immer wieder absurd steile Rampen und dies bei über 30°C in der Sonne. Ich entscheide mich schweren Herzens dagegen und schiebe diesen Besuch auf ein anderes Mal auf.
Am nächsten Morgen fahre ich zuerst ein Stück dem Meer entlang, bevor ich nach Süden in ein Wadi abbiege. Es ist bereits früh stechend heiss und es warten auch dort einige Höhenmeter auf mich. Unterwegs sehe ich Spuren von Süsswasser, als ich kleine Rinnsale queren muss. Diese werden immer grösser und ich muss immer mal wieder absteigen und bekomme nasse Füsse. Macht nichts, denn meine Veloschuhe sind leicht und haben auf der Seite Löcher, so dass das Wasser schnell abfliessen kann. Oben bzw. zuhinterst im Wadi angekommen, dann die grosse Überraschung. Es gibt wunderschöne, natürliche Pools, die zum Baden einladen. Mein Ledersattel begleitet mich schon seit ein paar Tausend Kilometern und ist wunderbar bequem, so dass ich komplett auf Velohosen mit Polster verzichten kann. Auch sonst trage ich nur schnell trocknende Kleidung und springe deshalb, ohne lange zu fackeln gleich ganz angezogen ins Wasser. Etwas Süsswasser schadet den verschwitzten Klamotten sowieso nicht! Sie trocken in der Hitze schnell am Körper und der Fahrwind fühlt sich für einen Moment sogar leicht kühl an.
Wer viel und lange hochfährt, fährt beim Rückweg noch weiter hoch… zumindest, wenn er nicht den gleichen Rückweg wählt. Und so pedale ich also noch einmal ein Stück die staubigen Strassen hoch, bevor ich dann im Gravelhimmel lande. Auf dem Pass angekommen, entfaltet sich vor mir eine lange, abfallende Landschaft ähnlich einer Hochebene. Die Strasse mäandriert zwischen den Hügeln hindurch, meist leicht bergab und ich rolle mit wenig Kraft und viel Genuss durch die atemberaubende Landschaft. Unterwegs gibt es noch den einen oder anderen Bach zu queren und ich fahre mutig einfach rein. Wenn ich absteigen muss, ist es nicht weiter schlimm und wenn die Füsse schon nass sind, kann ich mich zur Abkühlung in bewährter Manier auch gleich ganz reinlegen. So fahre ich am Ende sehr viel weiter als am Morgen vorgenommen und lande erst in der Dämmerung wieder vorne am Meer. Ich finde erneut in bester Lage einen Platz für die Nacht und bade schon wieder! Es scheint einen Nachholbedarf zu geben und das Wasser fühlt sich wunderbar an.
Die nächsten zwei Tage sind erneut eine Mischung aus kurz am Meer entlangfahren und dann Richtung Hinterland und durch schöne Wadis und gegen Abend wieder zurück ans Meer. Es ist ein Hochgenuss! Bei der Wahl des nächsten Campingplatzes ziehe ich dann aber für einmal voll die A…karte. Schon beim Hinfahren sehe ich eine Riesenbaustelle mit Plakaten, die in den schönsten Farben und wunderbarsten Versprechungen ein neues Luxury Marina Resort ankündigen. Der Strandabschnitt selbst, den ich ausgesucht habe, befindet sich nach der Baustelle am Ende der Strasse und ist soweit noch vorhanden. Es stehen aber bereits viele grosse Jeeps dort und es sind Flutlichtanlagen aufgebaut und Musikboxen im Einsatz. Nach den vielen ruhigen und abgelegenen Plätzen fühle ich mich, als ob ich im falschen Film gelandet bin. Da es aber schon spät am Nachmittag ist, bleibe ich am Rand der Ansammlung, wo noch etwas Platz frei ist. Das Zelt steht in unmittelbarer Nähe zur Betonfabrik für das zukünftige Marina Resort. Mir wurde gesagt, dass die Fabrik um 22:00 Schluss machen solle und so hoffe ich auf das Beste. Gegen Mitternacht packe ich dann meine Sachen zusammen, da die Fabrik überhaupt keine Anstalten macht, ihren Höllenlärm einzustellen und fahre in die Nacht los auf der Suche nach einem ruhigeren Platz. Gar nicht so einfach im Dunkeln! Nach einem kurzen Bergpreis und einer guten halben Stunde fahren finde ich in den Hügeln über dem Meer eine Betonplatte, auf der ich gegen 01:00 mein Lager erneut aufschlage. Nach wenigen Stunden Schlaf werde ich dann aber von einer anderen Baustelle in der Nähe geweckt. Die Arbeit beginnt hier bereits bei Tagesanbruch.
Am nächsten Tag fahre ich bis fast ans Ende der Strasse am Meer entlang, da ich gelesen habe, dass es dort schöne Strände geben soll. Was mich erwartet, ist ein Resort von Orascom, dass sich über mehrere Kilometer an bester Lage der Küste entlang zieht. Die Strasse endet bei einem Wächterhaus mit Barriere und ich werde gestoppt. Der Wärter teilt mir freundlich mit, dass ich mich schon umschauen dürfe, aber Zelten sei dann definitiv nichts und das sei für mich vermutlich auch sonst nicht so der richtige Platz. Ungewohnt brüske Töne, aber der Geldadel will wohl unter sich bleiben und da darf das Bild nicht mit staubigen Bikepackpackern getrübt werden. Die Nähe zu Muscat macht sich spürbar in der Region! Die Stadt liegt knapp eine Autostunde entfernt, ist wunderschön und zieht entsprechend viele Touristen und Einheimische an.
Ich fahre ein Stück zurück, da es nach dem Resort eh nicht mehr weiter geht und suche mir auf Google Maps einen möglichst weit von der Strasse entfernten Strandabschnitt aus. Ich will für meine letzte Nacht im Zelt bevor ich in Muscat ankomme, noch einmal Ruhe haben und die Stille geniessen. Dazu nehme ich eine gute halbe Stunde “Hike a Bike” in Kauf und schiebe und trage das Velo über einen verblockten Singletrail dem Meer entgegen. Die Bucht, die ich ausgesucht habe, ist traumhaft und sollte weit genug weg sein, um mir die gewünschte Ruhe zu bieten. Ich verbringe einen wunderbaren Abend, liege draussen im Sand und schaue lange in den Sternenhimmel, so wie es in den vergangenen Tag oft gemacht habe. Es ist schön, einfach zu sein und nicht das Bedürfnis zu haben, sich zu beschäftigen. Das Telefon bleibt in der Tasche und der E-Reader auch. Erst als ich dann ins Zelt krieche, nimmt der Abend eine unerwartete Wendung…
Aus irgendeinem Grund blättere ich vor dem Schlafen noch im Pass rum und bleibe beim Stempel von der Einreise in dem Oman hängen. Dort sehe ich “Visa valid until vorgestern”. Was zum Teufel! Bin ich etwa illegal im Land? Bei all den Vorbereitungen habe ich mich peinlichst genau informiert, was ich bezüglich Corona alles erfüllen muss. Ich habe alle Unterlagen zusammengetragen, bei der Krankenkasse die Bestätigung geholt, dass ich versichert bin, den PCR-Test gemacht, das Einreiseformular ausgefüllt und mich dabei an der offiziellen Webseite der Royal Omani Police orientiert. Dort war der ganze Ablauf beschrieben, aber mit keinem Wort erwähnt, dass es ein Visum braucht. Ich selbst habe keine Sekunde daran gedacht, da ich in den letzten Jahren nirgends ein Visum gebraucht habe und das irgendwie nicht mehr auf meinem Radar war. Bei der Einreise habe ich einfach Glück gehabt. Mit dem CH-Pass bekommt man ein “Visa upon arrival”, dass aber nur zwei Wochen gültig ist. Wer länger bleiben will, muss vorher ein E-Visa beantragen. Dumm gelaufen! Irgendwann finde ich über das Internet heraus, dass das Vergehen verhältnismässig leicht geandet wird und bin erleichtert. Ich muss nicht wie in anderen Ländern ins Gefängnis, sondern zahle pro überschrittenen Tag umgerechnet ca. 25 CHF Busse. Nicht schön, aber machbar und ich komme bei der Ausreise dann mit einem blauen Auge davon.
Am nächsten Morgen werde ich dann zum Sonnenaufgang von einer Grossgruppe Indern geweckt. Sie nehmen laut feiernd und lärmend den Strand in Beschlag, um das Holy-Fest zu feiern. Die Menschen bewerfen sich gegenseitig mit Farbe, lassen laute Musik laufen und der erhoffte Frieden ist dahin. Auch sie haben sich wohl einen abgelegenen Strand ausgesucht, um in Ruhe feiern zu können… Genervt und missmutig packe ich früh zusammen, verzichte auf das Frühstück (was ein Fehler ist und der Stimmung nicht unbedingt hilft) und ziehe los. Während ich mein Velo den Singletrail hochschiebe und buckle, bricht beim Träger für die grosse Satteltasche, die alles entscheidende Schraube und die Tasche landet auf dem Hinterrad. Eine Ersatzschraube habe ich natürlich nicht dabei und die ohnehin schon schlechte Laune fällt noch einmal. Das alles schon vor dem Frühstück und dem ersten Kaffee. Ich leere die Satteltasche halb und fülle die beiden Rolltaschen an der Gabel bis zum Rand. Die Satteltasche binde notdürftig am Sattel an, so dass sie nicht auf das Hinterrad runter hängt und schleift. Für einen Tag muss und wird es reichen.
Unterwegs halte ich bei einem Coffee Shop und frühstücke erstmals in Ruhe mit warmen Chicken-Sandwiches und Kaffee. Danach sieht die Welt schon sehr viel besser aus und aus “hangry” wird wir wieder “almost happy”. Beim weiter fahren achte ich dann für einen Moment nicht auf die Karte und biege 100m zu früh links ab. Ich fahre erneut und wie auch erwartet in ein Wadi rein. Es erstaunt mich aber, dass die Strasse nicht wie gedacht geteert ist. Aber ich hänge noch dem missglückten Start in den Tag nach, freue mich über mehr Gravel und werde leider nicht weiter misstrauisch. Erst 15 Kilometer später und nach einem erneuten Bergpreis merke ich, dass ich 90° in die falsche Richtung abgebogen bin. Ich bin Muscat kein Stück nähergekommen und stehe vor der Wahl zurück oder weiterzufahren. Weiter fahren bedeutet entweder die Berge unmittelbar vor der Stadt durch einen langen Tunnel zu queren oder am Rand einer dreispurigen, dicht befahrenen Autobahn oben drüber zufahren. Tunnel ist mit dem Velo keine Option, retour irgendwie auch nicht (das riecht zu sehr nach Scheitern oder Fehler) und so entscheide ich mich für die Autobahn und kämpfe im Aufstieg neben dem Lärm und Gestank auch noch und einmal mehr mit heftigem Gegenwind. Als ich im Verlauf des Nachmittags nach fast 80Km statt eigentlich gemütlichen 45Km Muscat erreiche, bin ich müde und freue mich auf das Hotel und eine Dusche. War nicht so mein Tag! Shit happens, wie man so schön sagt und ich habe keinen Schaden davongetragen. Mittlerweile schmunzle ich darüber.
In Muscat geniesse ich noch zwei volle Tage mit Sightseeing und nutze dazu für einmal das Taxi. Die Stadt ist einfach zu gross und weitläufig und beim Reinfahren tags zuvor war mir wieder bewusst geworden, dass ich nicht mehr alleine auf Gravelpisten unterwegs bin. Die Autos haben mich kaum beachtet und ich musste stark auf den Verkehr aufpassen. Es ähnlich wie Uber eine App namens OTaxi, über die man Taxis zum voraus berechneten und dann auch fixen Preis und günstig bestellen kann. Ich lasse mich also durch die Stadt chauffieren und besuche u.a. die strahlend weisse Sultan Qaboos Grand Mosque mit ihrem 8 Tonnen schweren Swarovski Kristallleuchter, den Mutrah Suk und gehe lange am Meer spazieren. Nach der vielen Natur und Ruhe wirkt die lebendige Stadt zuweilen etwas überwältigend auf mich, aber ich freue mich, sie zu erleben.
Und schon sind drei Wochen um und die Rückreise steht bevor. Der Flug geht um Mitternacht und das Velo habe ich bereits tags zuvor verpackt. Auch da habe ich einmal mehr die Gastfreundschaft bzw. Grosszügigkeit der Omani erfahren. Die Autos, die rumfahren sind meistens blitzblank sauber und glänzen. Entsprechend sieht man viele Waschstrassen und Waschanlange, von denen zum Glück auch eine ganz in der Nähe des Hotels liegt. Ich bin mit meinem vor Staub strotzendem Velo also dorthin, habe mich artig in die Reihe zwischen all die grossen SUVs und 4x4 Jeeps gestellt und etliche Grinsen und Daumen hoch dafür kassiert. Der Mitarbeiter am Hochdruckreiniger hat mich dann irgendwann gesehen und aus der Schlange zu sich gewunken. Sein Kunde war gerade damit beschäftigt, die Teppiche rauszunehmen, womit es eine kurze Pause gab. Mein Velo wurde fein säuberlich und sorgfältig abgespritzt und als ich etwas zahlen wollte, wurde lachend abgewunken. Es sei selbstverständlich, dass in dem Fall einfach geholfen werde und ich solle den Aufenthalt im Oman geniessen. Wow!
Am Abend bereite ich mir mit in der Stadt eingekauften Meze (kleine arabische Spezialitäten) wie Baba Ganoush, Humus, Oliven, Tabouleh, Tomaten, Gurken und Fladenbrot auf der Dachterrasse ein Festessen. Zum Dessert gibt es eine Auswahl an frischem Baklava (süsses Gebäck), während auf dem Dach des Nachbargebäudes gemütlich der Pool plätschert. Dahinter geht die Sonne einmal mehr in einem Spektakel aus Pastellfarben neben dem Turm der Moschee unter. Viel passender könnte meine Reise nicht zu Ende gehen.
Der Oman hat mich gefordert (oder besser gesagt, meine Wahl des Transportmittels und die Steilheit der Strassen), hat mich wachsen lassen und mit wunderbaren Erfahrungen und Geschichten reich beschenkt. Vor allem aber hat er mich mit seinem freundlichen und grosszügigen Menschen, der Mischung aus Tradition und Moderne und seinen grossartigen Landschaften stark berührt und ich werde bald zurück kehren!